Das neue Buch Count Down – Was uns immer unfruchtbarer macht von Shanna H. Swan erscheint am 10. August 2021 in deutscher Übersetzung im riva-Verlag.
Shanna H. Swan ist eine der führenden Expertinnen auf dem Gebiet der Umwelt- und Reproduktionsepidemiologie. Sie hat eine Professur für Umweltmedizin und öffentliche Gesundheit an der Ican School of Medicine at Mount Sinai in New York City inne. Ihre Forschungsarbeiten, für die sie bereits zahlreiche wissenschaftliche Preise und Auszeichnungen erhalten hat, beschäftigen sich mit der Auswirkung von Umweltschadstoffen wie Phthalaten und Bisphenolen auf die Reproduktionsgesundheit von Frauen und Männern sowie die Gehirnentwicklung bei Kindern.
Frau Swan, was hat Sie zu Ihren Forschungen auf diesem Gebiet bewogen?
Mein Interesse für abnehmende Spermienzahlen und die Gründe hierfür begann, als ich eine Metaanalyse eines dänischen Forscherteams von 1992 las, in der stand, dass sich „in den letzten 50 Jahren […] die Samenqualität dramatisch verschlechtert hat.“[1]
Zunächst war ich skeptisch, aber nachdem ich sechs Monate damit verbracht hatte, jede einzelne der 61 Studien dieser Metaanalyse noch einmal selbst nachzuvollziehen, kam ich zum selben Schluss wie die dänischen Autor:innen. Von da an interessierte ich mich sehr für die Gründe der Qualitätsabnahme, und seit Ende der 1990er Jahre beschäftige ich mich mit den Ursachen. Unsere eigene Metastudie zu diesem Thema aus dem Jahr 2017, die noch weitaus mehr Einzelstudien berücksichtigt und deutlich weiterentwickelte Methoden verwendet, kam zu einem ganz ähnlichen Schluss, wie die Studie von 1992.
Als mein wissenschaftliches Team 2017 eine Analyse [2] der Spermienzahlen aus vier Jahrzehnten vorlegte, die einen dramatischen Rückgang aufzeigte – was ein enormes weltweites Interesse auslöste –, entschloss ich mich, das Buch zu schreiben. Count Down geht jedoch weit über das Thema der Spermienzahl hinaus. Das Buch befasst sich mit beunruhigenden – manchmal geradezu schockierenden – Trends in der geschlechtlichen Entwicklung, nicht nur von Männern und Frauen, sondern auch verschiedener Tierarten.
Ihre Forschung beleuchtet viele sehr wichtige Themen. Was hat Sie an Ihren Ergebnissen am meisten schockiert?
Zunächst einmal der anhaltende und kontinuierliche Rückgang der Spermienzahl (der sich unabhängig von der Analyse- bzw. Studienmethode zeigt). Dann unsere Erkenntnis, dass die pränatale Exposition gegenüber einer Klasse hormonähnlich wirkender Schadstoffe (endocrine disrupting chemicals, EDCs) die männliche Genitalentwicklung verändern und zu einer verminderten Maskulinisierung führen kann. Später konnten wir dann belegen, dass es einen Zusammenhang zur verminderten Spermienzahl gab.
Waren Sie im Laufe Ihrer Karriere Anfeindungen von Seiten der chemischen Industrie ausgesetzt?
Ich hatte das Glück, davon wenig mitzubekommen. Obwohl ich als „Junk-Wissenschaftlerin“, „Wahrheitsverweigerin“ und „EDC-Heulsuse“ bezeichnet wurde, wurde meine Arbeit finanziell unterstützt und anerkannt.
Wie wichtig ist es, Männer über diese (anti-androgenen) Chemikalien aufzuklären, und wo sollten wir anfangen?
Es ist wichtig, sowohl Männer als auch Frauen über endokrin wirksame Chemikalien und andere Risikofaktoren, die die fötale Entwicklung beeinträchtigen können, aufzuklären. Männer sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Exposition gegenüber Chemikalien in den wenigen Monaten vor der Empfängnis (oder dem Empfängnisversuch) die Entwicklung des Fötus (oder den Erfolg der künstlichen Befruchtung) beeinträchtigen kann. Frauen müssen sich bewusst machen, dass die Exposition während der Schwangerschaft (und besonders in der Frühschwangerschaft) lebenslange Folgen für die Entwicklung des Fötus haben kann – Veränderungen, die möglicherweise erst im Erwachsenenalter nachweisbar sind. Schließlich sollten sowohl Männer als auch Frauen verstehen, dass eine eingeschränkte Reproduktionsgesundheit Folgen für die eigene Krankheitsanfälligkeit und letztlich auch für die Lebenserwartung hat.
Welche drei Ratschläge würden Sie der jüngeren Generation geben, die sich ja sicherlich Sorgen über die Auswirkungen von Chemikalien auf ihre Fruchtbarkeit machen wird?
Sie sollten sich der möglichen Reproduktionsrisiken durch Industrieprodukte und verarbeitete Lebensmittel bewusst werden. Lebensmittel sind eine der wichtigsten Quellen der Belastungen durch Phthalate, Bisphenole, Pestizide, perfluorierte Verbindungen – und sogar Flammschutzmittel. Sofern möglich, sollten sie sich für unverarbeitete Biolebensmittel entscheiden. Sie sollten parfümierte Produkte vermeiden und sich über Körperpflegeprodukte und Kosmetika auf einer der vielen im Internet verfügbaren Verbraucherseiten informieren.
Frau Swan, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!
Tipps dazu, wie Sie das Risiko einer Exposition gegenüber EDCs und anderen schädlichen Chemikalien verringern können, finden Sie auf dieser CHEM Trust website .
Dieses Interview erschien zuerst zum Internationalen Frauentag am 8. März 2021 auf der englischsprachigen CHEM Trust Website.